Pflege geht uns alle an. Unter diesem Leitgedanken lud der SPD-Ortsverein Winsen (Luhe) zu einer Podiumsdiskussion in den Marstall ein, um die Situation rund um Pflegebedürftigkeit, Fachkräftemangel und Unterstützungsstrukturen in Winsen und im Landkreis Harburg offen zu beleuchten. Ziel: Die Herausforderungen nicht nur benennen, sondern erste Impulse für konkrete Verbesserungen liefern.
Die Veranstaltung war gut besucht – viele Interessierte aus Winsen und Umgebung waren der Einladung gefolgt, um sich zu informieren und mitzureden. Moderiert wurde der Abend vom SPD-Co-Vorsitzenden Norbert Rath, Co-Vorsitzende Dominique Sechi begrüßte die Gäste und betonte: „Pflege ist ein Thema, das jede Familie betrifft – früher oder später. Wir müssen frühzeitig handeln, statt nur zu reagieren.“
Zahlen, die alarmieren – und Forderungen, die aufrütteln
Die Daten sprechen eine klare Sprache: Im Landkreis Harburg lebten 2023 rund 263.000 Menschen, davon waren 5,4 % pflegebedürftig – also etwa 14.170 Personen. Fast 40 % der über 80-Jährigen im Landkreis sind betroffen. Besonders alarmierend: Die Zahl der Pflegebedürftigen steigt schneller, als neue Angebote geschaffen werden können.
Die Versorgung verteilt sich dabei wie folgt:
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16 % stationär
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24 % ambulant
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60 % erhalten Pflegegeld für häusliche Betreuung
Das Problem: Die Infrastruktur kommt an ihre Grenzen. Nikolaus Lemberg, Geschäftsführer des InGe e.V. in Winsen, kritisierte: „Was früher stabil war, bricht jetzt weg. Ein Wohlfahrtsverband stellt seinen ambulanten Dienst ein, die Johanniter schließen ihre Beratungsstelle – die Stadt hat keinen aktuellen Pflegebericht, keine Planung, keine Strategie.“
Strukturelle Fehler und Gesetzeslücken gefährden Versorgung
Ein zentrales Problem, das mehrfach angesprochen wurde: Die tariftreue Bezahlung von Pflegekräften wird von den Krankenkassen nicht ausreichend refinanziert. Die Folge: Defizite in den Budgets der Dienste, die kaum noch tragbar sind.
Thomas Grambow vom DRK berichtete offen, dass man die Einrichtungen – darunter die stationäre Pflege in Hanstedt und zwei Tagespflegen in Hanstedt und Winsen – nur mit größtem Aufwand aufrechterhalte. In Neu Wulmstorf habe 2023 das letzte von drei Pflegeheimen schließen müssen. „Es ist fünf nach zwölf.“
Fachkräftemangel – auch durch Bildungsversäumnisse
Dr. Markus Jaeger-Rosiny, Hausarzt und Palliativmediziner, wies auf den gravierenden Mangel an medizinischen Fachangestellten (MFA) hin. Ein Beispiel: In Winsen werden keine MFAs ausgebildet – Auszubildende müssen zweimal wöchentlich nach Buchholz fahren. „Für viele ist das schlicht nicht machbar. So verlieren wir Nachwuchs, bevor er entsteht.“
Auch in der Pflege fehle es an Personal – nicht nur durch schlechte Bezahlung, sondern auch wegen bürokratischer Überlastung und fehlender Zeit für die eigentliche Arbeit: die Pflege am Menschen.
Pflegende Angehörige: Überlastet, unterversorgt, unterbezahlt
Ulrike Boje vom Verein Wir pflegen e.V. brachte die Perspektive der pflegenden Angehörigen ein – eine Gruppe, die oft vergessen wird. „Wer Pflegegrad 3 zuhause betreut, kann nicht mehr voll arbeiten – das führt später zu Rentenlücken und Altersarmut.“
Viele Angehörige wüssten nicht, welche Unterstützung ihnen zusteht. Der Verein bietet unter www.wir-pflegen-niedersachsen.de umfassende Beratung.
Lösungsansätze: Was jetzt passieren muss
Im zweiten Teil der Veranstaltung ging es um Lösungen – sowohl kurzfristig umsetzbare Maßnahmen als auch langfristige Strategien.
Ein Vorschlag aus dem Publikum: Menschen gezielt für einfache Pflegetätigkeiten qualifizieren, etwa für Unterstützung im Alltag. Nikolaus Lemberg zeigte sich offen: Bei InGe beginne im September ein Schüler der Förderschule An Borns Soll in Buchholz ein Praktikum.
Auch kommunale Verantwortung wurde thematisiert. Thomas Grambow schlug vor, dass Pflegekräfte bei ihren Einsätzen knöllchenfrei parken dürfen. „Das wäre eine einfache, aber spürbare Erleichterung.“
Dr. Jaeger-Rosiny forderte eine bessere Koordination beim Krankenhaus-Entlassungsmanagement: Viele Patient:innen würden zu früh entlassen, ohne Pflegeplanung – und kehrten kurze Zeit später wieder zurück ins Krankenhaus.
Mehr Kommunikation, mehr Prävention, mehr Realitätssinn
Ein weiteres zentrales Thema: Kommunikation – zwischen Pflegediensten, Angehörigen, Nachbarn und Öffentlichkeit. Pflege dürfe nicht mehr tabuisiert werden. Auch Prävention spiele eine zentrale Rolle: „Mit guter Ernährung, Bewegung und sozialer Teilhabe kann man Pflegebedürftigkeit lange hinauszögern – aber das muss man rechtzeitig angehen.“
Ein drängender Appell: Winsen braucht einen Hitzeaktionsplan. Gerade ältere Menschen leiden zunehmend unter extremen Temperaturen – hier drohen akute Gefahren.
SPD Winsen bleibt dran
Zum Abschluss bedankte sich Norbert Rath bei den Gästen und betonte, dass die SPD nicht bei der Diskussion stehen bleibt:
„Wir wollen Pflege als gesamtgesellschaftliche Aufgabe neu denken. Unser Wohnort wird zum Sozialraum – und jeder von uns wird irgendwann auf Unterstützung angewiesen sein. Deshalb müssen wir jetzt handeln, nicht erst, wenn es zu spät ist.“
Die Veranstaltung hat gezeigt: Es fehlt nicht an Wissen oder Engagement. Es fehlt an politischen Entscheidungen, kommunaler Koordination und mutigen Investitionen. Die SPD Winsen wird weiter Druck machen – für eine Pflege, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt.